Vor dem Kräftemessen
VON VOLKER KOCH
Sie kennen sich seit neun Jahren, vier davon haben Kai
Wandschneider (48) und Khalid Khan (41) als Trainer und Co-Trainer eng
zusammengearbeitet. Seit der jüngere der beiden Handball-Lehrer Ende November
beim TV Korschenbroich in die Verantwortung rückte, treffen sie sich zwei Mal in
der Woche zu Gedankenaustausch und gemeinsamem Gegnerstudium. Doch Freitag
Abend, wenn TSV Bayer Dormagen und TV Korschenbroich zum Lokalduell der Zweiten
Liga Süd im TSV-Bayer-Sportcenter auflaufen, ruht für sechzig Minuten ihre
Freundschaft: Mit dem Anpfiff um 19.30 Uhr stehen sich Wandschneider und Khan
erstmals als Konkurrenten in einem Punktspiel gegenüber. Die NGZ wollte von den
Trainern wissen, wie sie sich und ihre Spieler auf das Aufeinandertreffen
vorbereiten.
Herr Wandschneider, Herr Khan: Sie haben die gleiche Handballphilosophie, Sie
sind beide 1,76 Meter groß und Sie haben die gleiche Haarfrisur. Was
unterscheidet Sie eigentlich?
Khalid Khan: Ich rauche nicht. Aber ich habe ernsthaft überlegt, ob ich am
Freitag nicht damit anfangen soll, um mit Kai auf Augenhöhe zu sein.
Der Flachs blüht gleich zu Beginn des Gesprächs. Beide verfügen über einen
eigenen - norddeutschen - Humor - was man ihnen während der Spiele keinesfalls
ansieht. Da drängt sich die nächste Frage geradezu auf.
Sie kennen sich lange, sind miteinander freundschaftlich verbunden. Fällt es da
nicht schwer, bis Freitag die nötige Spannung aufzubauen?
Khan: Ich denke, das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Wir haben jeder das
gleiche Ziel: Wir wollen das Spiel gewinnen.
Wandschneider: Das mit der Spannung ist in unserem Fall wirklich
nicht so einfach. Aber das hat weniger mit Khalid und mir zu tun. Nach so einem
Triumph wie dem in Düsseldorf ist es immer schwierig, die nötige Spannung
aufzubauen. Das war nach dem Hinspiel genauso, deshalb haben wir auch in
Korschenbroich alles andere als gut gespielt. Aber damals war der TVK noch nicht
so weit, daraus Kapital zu schlagen. Ich denke, das sieht jetzt anders aus.
Korschenbroich hatte sich ja schon unter Olaf Mast weiterentwickelt, und Khalid
hat da jetzt noch ein paar Prozent mehr ’rausgekitzelt. Immerhin hat der TVK
beim Bergischen HC gewonnen, was bislang in dieser Saison nur Düsseldorf
gelungen ist.
Bevor wir dazu kommen, den Gegner zu loben: Wie machen Sie das eigentlich mit
dem Spannungsaufbau? Verraten Sie uns ein paar psychologische Tricks und Kniffe?
Khan: Da braucht man nicht groß in die Trickkiste zu greifen. Ich brauche meinen
Spielern doch bloß die Ergebnisse der Fußball-Bundesliga vom ersten Spieltag
nach der Winterpause unter die Nase zu halten, damit sie sehen, was alles
möglich ist. Auch in unserer Sportart hat es ja zum Wiederauftakt eine ganze
Reihe von Überraschungen gegeben. Für uns liegt die Spannung einfach darin, dass
hier der Erste auf den Achtzehnten trifft - und wir absolut nichts zu verlieren
haben. Ich habe meinen Spielern schon bei meinem Amtsantritt gesagt: Unsere
Chance liegt darin, dass alle glauben, dass mit dem TV Korschenbroich bereits
der erste Absteiger feststeht. Vielleicht verleitet dass einige Gegner dazu,
gegen uns nicht die nötige Aggressivität aufzubauen. Man muss den Spielern klar
machen, dass es in jedem Spiel eine Chance gibt, was natürlich mit jeder
Niederlage, die man kassiert, immer schwieriger wird, weil die Spielern
irgendwann nicht mehr daran glauben. Aber wir müssen auch realistisch bleiben:
Wir fahren nach Dormagen, um zu beweisen, dass wir einen guten Handball spielen
können. Eine Niederlage ist für uns kein Beinbruch - ausschlaggebend ist die Art
und Weise, wie die Mannschaft sich präsentiert.
Herr Wandschneider, Sie haben ja eben schon zugegeben, dass die
Terminkonstellation Ihnen nicht gerade in die Karten spielt. Wie kriegen Sie
denn das mit der Spannung hin?
Wandschneider: Wenn Khalid seinen Jungs die Fußballergebnisse zeigt,
dann zeige ich meinen die letzten Ergebnisse des TVK.
Drei Siege in Folge, darunter der beim Bergischen HC, den ich selbst gesehen
habe und der absolut verdient war, sind Warnung genug. Da sind auch meine
Führungsspieler gefragt, die mit mir zusammen dafür sorgen müssen, dass jeder
Spieler von uns weiß, dass wir am Freitag nicht auf den gleichen TVK treffen wie
im Hinspiel. Aber eigentlich mache ich mir keine Sorgen: Dass sich so viele
Spieler untereinander kennen, gibt zusätzliche Motivation. Da kommt es doch zu
regelrechten Duellen, zum Beispiel zwischen Adrian Pfahl und David Breuer, die
zeigen wollen, wer der bessere Linkshänder ist. Ich weiß, dass einige Jungs
absolut heiß sind, den Korschenbroichern zu zeigen, wo ihre Grenzen liegen.
Endlich scheint sich eine Kontroverse anzubahnen. Jetzt aber schnell nachhaken.
Wo liegen denn diese Grenzen?
Wandschneider: Vom Spielerischen ist der TV Korschenbroich gleichwertig, zumal,
seit sie diesen Tempo-Handball spielen. Aber vom Körperlichen her sind wir
stärker, deshalb müssen wir auch entsprechend zur Sache gehen. Von der ersten
Sekunde an muss es knallen. Oder nehmen Sie die Torhüterposition: Ich habe
Respekt vor beiden TVK-Keepern. Aber egal, wer bei uns am Freitag zwischen den
Pfosten steht: Er muss zeigen, dass er der Bessere ist.
Jetzt aber: Widerspruch. Doch weit gefehlt. Khalid Khan antwortet:
Khan: Wir gehören zu den körperlich schwächsten Mannschaften der Liga, vielleicht
sind wir sogar die schwächste. Größe und Masse müssen wir durch andere Dinge
ersetzen, zum Beispiel Tempo und taktische Cleverness. Wir müssen unsere
körperlichen Defizite durch Geschwindigkeit und kreative Ideen zu kompensieren
versuchen. Außerdem haben die Dormagener mehr und bessere Alternativen. Wenn bei
uns ein Führungsspieler ausfällt, wird es eng. Hinzu kommt, dass wir ohnehin
erst einmal den Weggang von Dirk van Walsem ausgleichen müssen, einen neuen
Spieler haben wir noch nicht gefunden.
Klingt ganz so, als ob Sie sich keine Chance ausrechnen?
Khan: Unser großes Plus ist: Dormagen steht unter Druck und wir sind nur
Außenseiter. Den TVK zeichnen großes Engagement und ebenso große Kämpferherzen
aus. Das habe ich den Spielern auch gleich bei meinem ersten Training mit ihnen
gesagt: Wichtig ist, dass ihr Einsatz zeigt und Spaß habt, egal, auf welchem
Tabellenplatz wir stehen.
Wandschneider: Den Druck haben wir, ganz klar. Aber wir können damit umgehen, aus
dem einfachen Grund: Wir können, weil wir wollen was wir müssen. Wir müssen nur
unsere Stärken ausspielen, kompromisslos, egal, wie der Gegner heißt - auch
gegen den TVK. Und ich nehme die Mannschaft nicht nur in die Pflicht, was zwei
Punkte angeht: Ich will auch Fortschritte gegenüber dem Düsseldorf-Spiel sehen.
Wir haben zwar gewonnen, aber es war längst noch nicht alles richtig gut.
Herr Khan, Sie waren auch in Düsseldorf. Wie haben Sie das Spiel des TSV
gesehen?
Khan: Ich habe eine Spitzenmannschaft gesehen, auch vom Auftreten her. Das Spiel
hat überdies deutlich gemacht, wie viel im modernen Handball sich im Kopf
abspielt, das war bei den Düsseldorfern deutlich zu merken.
Wandschneider: Gut, dass Du das Thema ansprichst. Was den Kopf angeht, dürfen wir
nicht außer Acht lassen, dass wir zwar ein Heimspiel haben, aber bestimmt auch
600 oder 700 Fans aus Korschenbroich gegen uns. Das wird eine neue Erfahrung für
uns. Und was Fans bewirken, haben wir ja gerade in Düsseldorf erlebt, das war
schon phantastisch, was da abging.
Khan: Das habe ich als „neutraler Beobachter“ genauso empfunden. Was sich in
Dormagen in Sachen Fans entwickelt hat, ist phänomenal, das findet man so
schnell nicht noch mal in Deutschland.
Wandschneider: Auch da gebe ich Dir recht. Aber ich kann unsere Fans nur bitten,
uns gegen den TV Korschenbroich genauso zu unterstützen wieam Sonntag und den
TVK genauso ernst zu nehmen wie die HSG Düsseldorf.
Bevor die beiden sich die Bälle von alleine zuspielen, meldet sich der
Interviewer noch einmal zu Wort.
Am Freitag sind Sie Rivalen, können Sie sich darüberhinaus eine Zusammenarbeit
zwischen beiden Klubs vorstellen?
Wandschneider: Wir Trainer arbeiten ja jetzt schon zusammen. Was die Vereine
angeht, so ist das in erster Linie Sache des Managements. Wobei wir bedenken
müssen, dass in der nächsten Saison unsere eigene Zweitvertretung hoffentlich in
der Regionalliga spielt. Wenn der TVK, was ich hoffe und wovon ich ausgehe, den
Klassenerhalt schafft, dann ergeben sich trotzdem gute Möglichkeiten, zumal
Khalid und ich die gleiche Spielphilosophie haben. Eine solche Zusammenarbeit
muss aber immer auf Gegenseitigkeit beruhen.
Khan: Für mich sind die Aufstiege beider Dormagener Mannschaften fast so eine
Herzensangelegenheit wie der Klassenerhalt des TVK. Und wenn wir den schaffen,
sehe ich Möglichkeiten vor allem in der Nachwuchsarbeit. Denn der TV
Korschenbroich hat auf Dauer nur eine Chance, sich im Profi-Handball, sprich in
der Zweiten Liga, zu etablieren, wenn er über einen entsprechenden Unterbau
verfügt. Ein paar erfahrene Leute aus der Bundesliga und ganz viele Talente aus
der Region, so stelle ich mir den TVK der Zukunft vor. Und in Sachen
Zusammenarbeit ist einiges denkbar: Dormagener Spieler haben Zweitspielrecht bei
uns, umgekehrt können junge Korschenbroicher ein Zweitspielrecht in der
Dormagener Zweiten haben, wenn die in der Regionalliga spielt. Von einer
Kooperation können alle nur profitieren.