Korschenbroich statt Kiel
Dormagen ist Handball-Hochburg. Kurz vor Mitternacht am Mittwochabend, zwei Stunden, nachdem Frank Lemme und Bernd Ullrich ein denkwürdiges letztes Saisonspiel abgepfiffen hatten, herrschte auf dem Vorplatz des TSV-Bayer-Sportcenters noch Hochbetrieb - regeres Treiben jedenfalls als dreieinhalb Wochen zuvor im und vor dem Essener Sportzentrum Am Hallo. Dabei hatten die TuSEM-Fans dort einen Aufstieg zu feiern . . .
Am Höhenberg hingegen war Trauerarbeit gefragt. Zum vierten Mal insgesamt (bei fünf Teilnahmen), zum zweiten Mal in Folge war der TSV Bayer Dormagen in einer Relegationsrunde zur Handball-Bundesliga gescheitert.
Doch anders als vor Jahresfrist, als nach dem „Sekundentod“ gegen den Wilhelmshavener HV viele mit Tränen in den Augen das Sportcenter verließen, war der Tenor unter Fans und Akteuren am Mittwochabend gleichlautend: In der Verfassung, wie sich die Dormagener bei der 26:27-Niederlage gegen den TuS N-Lübbecke präsentierten, hatten sie den Sieg und damit den Aufstieg auch nicht verdient.
„Hätten wir auch nur annähernd so gut gespielt wie im Hinspiel, könnten wir jetzt feiern“, stellte Torhüter Matthias Reckzeh fest, der gleichfalls nicht an seine Form aus der Vorwoche anknüpfen konnte. Warum ihn Trainer Kai Wandschneider trotzdem bis zur 44. Minute zwischen den Torpfosten beließ, bot reichlich Stoff für Diskussionen. Schließlich bekam Reckzeh nach der Pause nur noch einen Ball zu fassen.
Mit Joachim Kurth kehrte beim Stande von 16:21, als angesichts eines Gesamt-Rückstandes von sieben Toren alles schon verloren schien, wenigstens noch einmal ein Hoffnungsfunke zurück, der aber auch nur für ein paar Minuten zündete.
Doch verloren haben die Dormagener die Partie nicht in der Defensive. Verloren ging das „Endspiel“ im Angriff, in dem außer Kjell Landsberg nicht ein Akteur zur Normalform fand. „Wir haben vor der Pause viel zu langsam gespielt“, kritisierte Joachim Kurth seine Vorderleute - ganz so, als ob sie aus dem 21:21 in Essen und der ersten Halbzeit gegen den Stralsunder HV (10:16) nichts gelernt hätten.
Denn ohne das nötige Tempo fehlt den Dormagenern die Treffsicherheit: Alleine dreißig Mal scheiterten sie in dessen letztem Spiel für den TuS N-Lübbecke an Torsten Friedrich zwischen den Torpfosten der Gäste, hinzu kamen zehn weitere Fehlwürfe oder Fehlabgaben. „Wir waren cleverer und erfahrener“, befand TuS-Trainer Velimir Kljaic, „unsere Cleverness ist noch nicht erstliga-reif“, pflichtete Joachim Kurth bei.
Spielentscheidend die Schwäche auf den Außenpositionen, wo nur Marcel Wernicke ein Treffer gelang - und den erzielte er auch noch im Nachwurf vom Kreis. Bittere Ironie, dass dieser Treffer zum 7:5 (14.) den einzigen Zwischenstand markierte, bei dem die Hausherren wenigstens für ein paar Sekunden in der Ersten Liga waren.
Noch bitterer die Ironie, dass sich ausgerechnet die Position, auf der die Dormagener vor Saisonbeginn angesichts von drei Linksaußen überbesetzt erschienen, als Achillesferse erweisen sollte. In beiden „Endspielen“, in Essen wie gegen Lübbecke, mussten dort 20 Minuten lang die gelernten Mittelmänner Nils Meyer und Alexander Koke aushelfen. Alles Spekulation - doch mit einem gesunden Michiel Lochtenbergh wäre Dormagen jetzt wohl Erstligist.
So aber „müssen wir wieder auf die Ochsentour durch die Zweite Liga gehen“, wie Wandschneider nüchtern feststellt. Die beginnt am 1. September mit dem Heimspiel gegen den TV Hüttenberg und „wird bestimmt nicht einfacher als die vergangene Saison“, meint Joachim Kurth.
Die Hoffnung, durch den Einspruch des TV Kirchzell noch durchs Hintertürchen erstklassig zu werden, ist sehr gering: „Sollte Kirchzell Recht bekommen, werden wir uns dagegen nicht sträuben“, sagt Uli Derad. Aktiv will sich der TSV jedoch nicht an den juristischen Auseinandersetzungen um die Spielberechtigung des Willstättter Torhüters Manuel Poch beteiligen, „zumal der gegen uns nicht eine Sekunde gespielt hat“, wie Derad anmerkt.
In welcher Formation der TSV die „Ochsentour“ auf sich nimmt, ist offen. Sicher sind die Abgänge von David Breuer (zum TV Korschenbroich) und Marcel Wernicke (zu Borussia Mönchengladbach), die Personalie Peter Sieberger ist ungeklärt. „Wichtig ist, dass der Kern bleibt, der Rest wird sich finden“, meint Derad.
Ebenso spannend ist die Frage, ob die Euphorie rund um den Dormagener Handball durch das zweite Scheitern in Folge Schaden nimmt. Wie stellte doch Chefordner Heinz-Peter Billigen mit trockenem Humor fest: „Wir wollten nach Kiel, jetzt fahren wir nach Korschenbroich.“
Quelle: Neuss-Grevenbroicher Zeitung